Als äußerst rechtslastiger Musikproduzent mit Christoph Schlingensief zusammenarbeiten?
Geht das?
Ja, es geht!
2001 suchte Christoph für seine Inszenierung des Hamlet am Schauspielhaus Zürich
ausstiegswillige Neo-Nazis. Der Schauspieler Peter Kern, den ich aus Düsseldorf
kannte und der im „Hamlet“-Ensemble mitspielte, lud mich nach Zürich ein, um mich
Christoph vorzustellen.
Christoph überzeugte mich und ein halbes Dutzend weiterer rechter Spießgesellen, an
dem Theaterprojekt mitzuwirken. Die Proben im Schauspielhaus und die Aktionen in
der Stadt waren enorm anstrengend. Am Anfang spielte der Zweifel auf beiden Seiten
immer mit. Christoph fragte sich: Sind die wirklich ausstiegswillig oder nur profilierungssüchtig? Und wir fragten uns: Meint Christoph es wirklich ernst oder führt er uns nur vor, um noch mehr Publicity zu erhalten?
Er meinte es ernst. Wir hingegen wollten eigentlich nur die linke Kulturschickeria provozieren.
Die Premiere rückte immer näher und die Nervosität stieg. Christophs unnachahmliche Art, sein steter Wunsch, ein Miteinander zu finden, die nächtlichen Diskussionen, die Proben bis zur Erschöpfung und nicht zuletzt sein unerschütterliches Vertrauen in meine Leute und mich waren der ausschlaggebende Punkt, dass die Situation nicht eskalierte, und führten bei uns zu dem immer stärker werdenden Wunsch, sich von der rechten Szene abzuwenden. Denn auf der einen Seite war da Christoph, eine starke Persönlichkeit, die Schwächen zeigte, und auf der anderen Seite waren da wir Rechten, also schwache Persönlichkeiten, die Stärke vorspielten.
Irgendwann war die Entscheidung zum endgültigen Ausstieg getroffen.
Christoph wirkt!
Er ganz persönlich hat mir den Weg zurück in die „Mitte des Lebens“ geebnet. Ohne ihn
wäre ich heute vielleicht immer noch derselbe Produzent dumpfer, tumber und vor allem fremdenfeindlicher Musik. Nur durch Christophs Anstoß bin ich heute mit einer arabischen Frau verheiratet und wir haben unseren kleinen Sohn.
Auch die anderen rechten Mitstreiter des Hamlet sind allesamt ausgestiegen. Als Beispiel
sei hier mein Freund Jan Zobel erwähnt, der inzwischen verheiratet ist, ein Kind hat und in guter Position für eine ausländische Firma arbeitet.
Ich bin Christoph dankbar, er war mein Stern in einer dunklen Zeit, der mir und meinen damaligen Mitstreitern den Weg in ein neues Leben wies.
Torsten Lemmer für Christoph Schlingensief. Auszug aus der Publikation zum Deutschen Pavillon 2011, Kiepenheuer & Witsch (ISBN 978-3-462-04343-3).